Im goldenen Herbst, so er denn golden ist, gibt es ein recht hübsches Phänomen. Die Sonne ist matt, sie steht tief und die Luft ist oft schon feucht. Und wie von Zauberhand erscheinen überall zarte Spinnweben und Fäden. Mal mit kleinen Tautropfen besetzt, mal nicht. Ich verbinde mit dieser Erscheinung auf ewiglich einen Vorfall aus meiner Kindheit: meine Eltern, mein Bruder und ich waren auf dem Weg zu einem Gartenfestival. Eine lange Allee in milder Sonne. Durchzogen von in der Sonnen glänzenden Spinnweben. Vor uns zwei ältere Frauen. Ich habe vor lauter Begeisterung meinen Eltern sehr laut zugerufen: „Schaut mal – Alte Weiber!“ und habe nach vorne zu den Spinnweben – aber leider eben auch zu den beiden Damen vor uns gedeutet. Es gab daraufhin eine kleine atmosphärische Störung und meine Eltern wurden von den Damen ob ihrer mangelhaften Erziehung gerügt. So etwas vergisst man nie. Tatsächlich geht das mit dem Altweiber wohl eher auf das althochdeutsche Wort „weiben“ für „weben“ zurück. Im frühen Herbst nutzen vor allem die jungen Spinnen den Wind um sich in das Abenteuer

zu stürzen. Die klettern auf besonders windexponierte Stellen, und schießen aus ihren Spinndrüsen ein ganzes Bündel von Spinnfäden, die sich in der Luft wie ein Fächer ausbreiten. An diesem Segel aus 50 – 60 sehr leichten Seidenfäden hängend wird die Spinne vom Wind oft in große Höhe gehievt und über große Entfernungen fortgetragen. Ist die Spinne dann glücklich gelandet, wabern die Fäden noch lange Zeit durch die Luft. Bei uns fliegen im Herbst meistens mitglieder der Familie der Baldachinspinnen und Krabbenspinnen durch die Luft. Für Spinnenphobiker ist das vermutlich keine schöne Vorstellung. Aber: so eine Flugreise ist für die Spinne mit

immensen Risiken verbunden. Schließlich kann sie nicht steuern wo sie hinfliegt und wo sie landet. Trägt der Wind sie zu hoch erfriert sie, fällt sie über Wasser herunter, ertrinkt sie. Spinnen sind nicht dumm – sie halten das Risiko gering und gehen die meisten Wege daher zu Fuß. Aber noch einmal zurück zu den Alten Weibern. Vielleicht heißt der Altweibersommer auch so, weil die in der Sonne silbrig glänzenden Spinnweben an die langen grauen Haare älterer Frauen erinnern. Mag sein. Vor einigen Jahren verklagte eine Zuschauerin den Deutschen Wetterdienst. Sie wollte es unterbunden wissen, das das Wort „Altweibersommer“ dort genutzt wurde um diese prächtigen, letzten sonnengefluteten Tage des Jahres zu beschreiben. Es sei, Sie ahnen es, „diskriminiernd“. Die Klage wurde abgewiesen. Ich finde das ok. Ich bin 62 und bald grau. Ich lade jeden, auch die Baldachinspinne, ein, mich ein altes Weib zu nennen. Denn – da beißt die Maus keinen Faden ab – das entspricht leider ziemlich der Wahrheit.